Geschichten rund um diese Kleinbahn

Geschichten, die das Leben schrieb und in dieser Form heute kaum vorstellbar sind. Damals war das Leben nicht so hektisch wie heute. Man kannte und unterhielt sich. Dazu gibt es heute kaum noch Gelegenheit. Es fehlen heute die Bahnen, die das Flair vermitteln, wo der Betriebsablauf noch so gemütlich ist wie in der “guten alten Zeit”

Frau Ruth Seidel(†) aus Schwichtenberg ist es zu verdanken, dass die folgenden Geschichten aus dem Leben mit der MPSB überliefert sind. Es sind Zitate aus der Reihe “Friedländer Heimatblätter” wo noch mehr davon nachzulesen ist.

 

Mudda schimpft

Dicht am Bahnhof Schwichtenberg lag ein Gehöft. Das Streckengleis grenzte an das Grundstück. Da wohnten ordentliche, nette und fleißige Leute mit zwei großen Kindern und einem kleinen Nachkömmling, der ein Pfiffikus war. Der Vater war fast zu ruhig, Mutter dagegen hatte Temperament und konnte schimpfen. Dafür war sie im ganzen Dorf berühmt. So viel ich weiß, war sie aber dabei nicht zänkisch, mit dem Nachbarn vertrug sie sich. Ihre Schimpfkanonade ergoß sich hauptsächlich über ihren Mann oder die großen Kinder. Wenn ihr jüngster Dummheiten gemacht hatte und sie schimpfte, riß der Junge aus und kam wohl bei meinem Bruder an mit den lakonischen Worten “Mudda schimpft”.

Nun war der Abendzug aus Ferdinandshof gekommen. Die Fracht war aus- und neue eingeladen. Reisende aus-, neue eingestiegen, der Schaffner hatte die Türen geschlossen und abgepfiffen. Die Lokomotive stand am Zaun des Gehöftes, der Besitzer war im Garten, kam näher und tauschte ein paar Worte mit dem Lokpersonal aus. Da kam seine Frau in den Garten gestürzt, sah und hörte nichts um sich herum, erblickt nun den Sündenbock, ihren Mann, und schimpfte. Der Lokomotivführer vergaß das Abfahren und hörte interessiert zu, der Heizer hing über die Schulter und schmunzelte, der Schaffner stand noch mit seiner Trillerpfeife in der Hand am Zug und freute sich über das Schauspiel. Nun wurden die Reisenden unruhig. Es wurde abgepfiffen, aber der Zug fuhr nicht ab. Sie zogen die Fenster herunter, hörten das Spektakel und amüsierten sich ebenfalls. Sie hingen alle aus den Fenstern, damit ihnen ja nichts entging.

Schließlich sagte der Mann: “Mudda weß doch enen Ogenblick still, dat de Tog afführen kann” (Mutter sei doch einen Augenblick still, damit der Zug abfahren kann). Da übersah sie die Situation, klappte den Mund zu und entfloh. Der Zug verließ Schwichtenberg.

 

Die Kotelower Weiche (1919)

Einmal hatte Vater abends in Sandhagen zu tun, wir drei Schwestern wollten ihn begleiten. Mit der Kleinbahn gings bis zur Kotelower Weiche, zurück mußten wir allerdings zu Fuß, sechs Kilometer. Aber wir waren trainiert. Uns brachte der Weg mit unserem Vater Freude. Er machte uns immer auf etwas Interessantes aufmerksam und konnte gut erzählen. Es war nun kurz nach dem Ende des ersten Weltkrieges, die Kohlen waren knapp, und die Lokomotive hatte nur so viel eingeheizt, daß sie es gerade noch bis Friedland schaffte. Auf der Kotelower Weiche konnte sie nicht anhalten. Dann wieder anfahren und dazu noch eine Steigung nehmen, dazu reichte der Dampf nicht mehr. Wenn abends jemand aussteigen wollte, was selten vorkam, fuhr der Zug ganz langsam, und man musste abspringen. Der Schaffner lief nebenher und wollte Hilfestellung geben, doch die brauchten wir nicht. Jetzt wollte er einer jungen Berlinerin heraushelfen, die aber wollte nicht aus dem fahrenden Zug springen. Es wurde aber höchste Zeit, so bat der Schaffner meinen Vater, der hinter ihr stand, ihm zu helfen. So bekamen sie die Dame und ihre Koffer mit vereinten Kräften noch im letzten Augenblick heraus. Uns hatte alles köstlich amüsiert, erst das Abspringen und dann das Theater mit der jungen Dame.

 

nach oben

 nach oben